Mittwoch, 16. August 2023

Traumdeutung (Folge 1608)

 


Ich träume wie meine Tochter mit mir Auto fährt. Wir fahren durch Duisdorf, durch die Hauptstraße - oder zumindest sieht das so aus wie Duisdorf. Da, wo wir früher gewohnt. Und dann parkt sie ein, wie eine Rakete, wie ein Profi, rückwärts, auf dem Parkplatz neben der Sparkasse, gegenüber vom Rathaus (weiß nicht, ob es die noch gibt).

Und erst da merke ich, dass sie gefahren ist, nicht ich (wie sollte ich auch, ich kann ja gar nicht mehr fahren). Sie ist gefahren, wie eine Eins, und ich hatte gar keine Angst. Ich habe es noch nicht mal gemerkt, saß einfach nur da und habe was gemacht? Nichts, ich weiß es nicht, vielleicht mit ihr geredet, vielleicht war ich deswegen abgelenkt


Samstag, 1. Juli 2023

Geburtsurkunde

 



Och, näh, jetzt muss ich denen auch noch eine Geburtsurkunde meiner Tochter zukommen lassen. Was denn noch alles?! Wegen irgendeinem Versicherungsscheiß, was weiß ich. Deutschland. Deutschland. Muss denen meine Vaterschaft belegen. Leckt mich am Arsch! Aber wenn ich so drüber nachdenke: wie passend! Jahre später, 24 Jahre später, Jahre nach der Scheidung, nach all dem Ärger, all dem Theater, wollen die von mir einen Beweis, dass ich Vater bin. Und ich denke nur: wie passend! Schicke meiner Tochter ein Foto von dem Schreiben, besser so was direkt zu erledigen. Damit das nicht in deinem Kopf weiterarbeitet. 

Und während ich auf eine Antwort warte, denke ich nur: Hoffentlich hat sie die überhaupt noch. Bestimmt hat die Ex, die Echse, die weggeworfen. Verbrannt. Um jegliche Erinnerung an mich auszulöschen. Das ging ja damals ganz schnell. Einen Tag waren ihre Papiere da, den nächsten nicht mehr. Wie bei einem Zaubertrick. Einem schlechten Zaubertrick, der in einer Bar von einem mittelaltrigen, stinkbesoffenen Mann, der sich kaum auf den Füßen halten kann, vorgeführt wird. Falsch vorgeführt wird, schlecht vorgeführt wird - wobei ich nicht weiß, was schlimmer ist. 

Die brauchen also von mir einen "Nachweis der Elterneigenschaft" (steht das da wirklich, "Eltern-eigenschaft???") und ich denke nur: Leckt mich am Arsch! Jetzt muss man in Deutschland sogar noch die Kinder nachweisen. Aber warum nicht. Irgendwie bin ich ja noch Vater. so irgendwie bin ich ja noch Vater. Um drei Ecken. Drei Ecken und eine Scheidung. Also warte ich auf eine Antwort, was bei meiner Tochter schwierig ist. Um diesen Arschlöchern meine "Elterneigenschaft" nachzuweisen. die ich gefühlt schon lange verloren habe, aber ein Vater ist man ja sein ganzes Leben lang. Ich stelle mir meine Tochter vor, wie sie zu ihrer Mutter sagt: Papa braucht meine Geburtsurkunde. Haben wir die noch? Und ihre Mutter denkt kurz darüber nach, die Urkunde nachts still und heimlich verschwinden zu lassen, nur um sie mir nicht übermitteln zu müssen, sagt kalt "NO". "NO". So, wie in diesem Abschiedsbrief. Der war so geil. Und ist damals direkt in Übersetzung - bei der die Tinte bzw. Druckerschwärze noch nicht mal trocken war - zur Anwältin gewandert. Ebenfalls wie in einem schlechten Schmierentheater, in dem ein Mann und eine Frau nachts in einer Bar, fein säuberlich voneinander getrennt, versuchen, einen Trick aufzuführen, an dem sie bei scheitern und nur die Anwälte gewinnen. 

"Kann ich mal gucken, Mama?"

"NO!"

(Die ist bei deiner Tante, bei Onkel ****, damals verloren gegangen, die hat die Katze gefressen, der imaginäre Hund, an den ich immer denken muss, wenn du deinen "Papa" erwähnst, die hat der Anwalt, der Postbote mitgenommen, mein neuer Stecher bei sich [im Schrank, wo sonst?!], die ist in Ecuador, in Portugal, auf dem Mars, was weiß ich wo ...)


Ruf mich mal an, bitte ... habe ich ihr auf WhatsApp geschrieben. Und noch nicht mal ein zweites Häkchen. Sie wird bestimmt nicht anrufen, das tut sie nie. Und in meinem Kopf geht schon das Geratter los. Der Rolf hat gesagt, dass der Udo das gestern braucht. Und wenn sie das jetzt beantragen muss? Kriegt man das so einfach? Eine Geburtsurkunde? Wo beantragt man die überhaupt? Und wenn die damals abhanden gekommen ist. Schließlich waren das wilde Zeiten, sowohl nach der Geburt als auch nach der Scheidung. Wild West sozusagen. Und wenn das jetzt länger dauert?

Ha, zwei Häkchen! 

Sie hat es bekommen. Gelesen weiß ich immer noch nicht, denn ich krieg von ihr keine blauen Häkchen, das hat sie ausgestellt. 

Einen Nachweis meiner "Elterneigenschaft". War ich geeignet? Am anfang nicht so richtig, dann viele Jahre auf jeden Fall, und am am Ende so halb ...

Hey, deine "Elterneigenschaft" ist doch noch gar nicht zu Ende!!!

fühlt sich aber manchmal so an.

Nein, du musst glauben!

An was, an den Weihnachtsmann.

Noch diese Woche hast du deine Elterneigenschaft schließlich voll ausgelebt. In ganzen vierienhalb Stunden!

Waren es wirklich viereinhalb Stunden?

Ach, wenn interessieren schon diese Details! Diese Erbsenzählerei! Es zählt einzig und allein die Tatsache, dass du mit deiner Tochter einkaufen warst. T-Shirts. Zwei Stück! Von Fynch und Hatton. die mit dem Baum ... dem Baum des Lebens ... wen interessieren schon solche Details ... we wouldn't have to go into details!


Ich kann jetzt keine Antwort abwarten - obwohl ich ganz genau weiß, dass WhatsApp wie Tennis ist und erst eine zwei WhatsApp kommt, nachdem man eine Antwort erhalten hat - also schicke ich ihr ein Foto von dem Schreiben und schreibe drunter: Dat bruch ich. 

Impatience killed the cat!!!

Ihre Katze. Ihre Katze, die ich nie gesehen habe. Der ich aber zu Weihnachten Leckerli gekauft habe. Das ist doch auch schon mal was! Es sind die kleinen Dinge im Leben, die kleinen Details ... die die Katze glücklich machen. 

Im Radio singt eine Frau Tell me lies, tell me sweet little lies.

Tell me lies, tell me sweet little lies.

Und da die Katze ja bekanntlich neun Leben hat, schreibe ich noch hinterher: Am besten gestern ...

Jetzt ist es aber gut! Jetzt ist es aber wirklich gut! Noch eine WhatsApp und du kriegst wahrscheinlich eine Anzeige wegen Stalking ... in der heutigen Zeit sowieso! ... aber du brauchst dieses Ding ja. Und am besten wirklich gestern. 

Temper, temper!!!

Ruhig, Brauner! Ruhig!!

Wenn sie jetzt zu Hause - in deinem oder ihrem? - wohnen würde, wäre das natürlich einfacher. Dann würdest du nachts um kurz nach eins nach Hause kommen und. bevor du zu deiner Frau ins Bett steigen würdest, noch am Schrank vorbeigehen und dat Ding selber raussuchen. Selbst ist der Mann! selbst ist der verheiratete Mann. Aber so ... So muss das erst alle 25 Instanzen durchlaufen, von ihrer Mutter und ihrer Familie genehmigt werden (wovon träumst du nachts?!), bevor das Papier dich irgendwann erreicht. Ja, wenn das Wörtchen "wenn" nicht wär ...

Im Radio sagt jemand buenos días. Manchmal ist das Schicksal aber auch eine mieser Verräter. Buenos días y adiós. Adiós, amigo. Das hat sie damals gesagt. Beziehungsweise unter ihren Brief geschrieben. Ihren Absciedsbrief. Deine Tochter wird immer deine Tochter sein, ich kann ihr da nicht reinreden. Natürlich nicht. Hat die Psychologin damals auch gesagt. Das ist natürlich würdig und recht. wenn du so drüber nachdenkst, war das mit Conchi schon die zweite Frau in deinem Leben, die dich mit einem Adiós in die ewigen Jagdgründe befördern wollte. 

Aber du bist immer noch hier, das sagt doch auch etwas über dich aus!

Und was?

Dass du wahrscheinlich sogar den Atomkrieg überlebst!

Wie die Kakerlaken ...

Und bestimmt findet deine Tochter den Nachweis deiner "Elterneigenschaft", irgendwo tief unter anderen mehr oder weniger erwünschten Papieren aus der Vergangenheit - angestaubt und mit Kaffeeflecken. Sie ist ja schließlich Deutsche und damit "korrekt" und "pünktlich" Sie macht das schon. Und ihre Mutter wird ja wohl kaum ihre Geburtsurkunde verschwinden lassen. aber wer weiß ... wie gesagt: wilde Zeiten! Wild West!

Und in Südamerika sind schon ganz andere Dinge verschwunden ...

Du checkst deine Nachrichten. Nichts. Noch immer nichts. Dabei sind erst knappe 10 Minute vergangen. 

Was erwartest du denn auch?! Dass sie für deine Nachricht alles stehen und liegen lässt und dich direkt anruft???!!! 

Egal, wo sie ist. Ob bei ihrer Mutter am Esstisch oder bei ihrem Freund. Hat sie einen? Du weißt es nicht. Nichts Genaues weiß man nicht. du weißt eigentlich nicht mehr viel. Das ist halt der Nachteil, wenn man es, anders als viele andere Menschen in diesem wunderschönen Land, nicht mag, indiskrete Fragen zu stellen. Dann redet man halt viereinhalb Stunden über andere Dinge. Das hast du nun davon. 

Wenn du jetzt noch verheiratet wärst, noch mit ihrer Mutter, ergo mit ihr, da sie bei ihrer Mutter wohnt. zusammen wärst, dann wäre das einfacher ... Dann würdest du dich selbst drum kümmern. Das Heft selbst in die Hand nehmen. Deinen Mann selbst stehen. Und sie wären sogar froh drüber, denn dann müssten sie den Scheiß nicht aussuchen. 

Aber so.

So musst du sie anrufen, um ein Ergebnis zu erzielen.

Machst du das jetzt wirklich?

Jup, so schaut's aus ...

Nicht wahr ...

Doch, leider wahr.

Die Frage ist: Willst du wirklich noch mit der zusammen sein? 

Und die Frage ist natürlich auch: Würde es dir dann wirklich besser gehen ...?

Auch im Radio laufen keine Zeichen mehr ...

Oder würdest du dann nur in einer anderen Art von Hölle leben. Ja, ich glaube, das ist es. Eine andere Art der Hölle. Einmal Ehehölle, bitte. einmal Ehehölle und kein Zurück, bitte! Lebenslang! Obwohl, heutzutage lebenslang???? Heutzutage dauern die meisten Ehen noch nicht mal die Zeit, die man, beziehungsweise Mann, für einen bewaffneten Raubüberfall in den Knast geht. Und fühlen noch dazu meistens so an ... 

Nie wieder!

Zum Glück!

Puh, das war knapp!

aber um das Leben mit der Tochter, deine "Elterneigenschaft" ist es trotzdem schade. Und das ist noch milde gesagt. Denn wenn ihr noch verheiratet wärt, würdest du deine Tochter jeden Tag sehen. Jeden Tag. Das wär dann auch bestimmt manchmal zu viel  - für sie und für dich -, aber immerhin was deine "Elterneigenschaft" angeht eine bessere Hölle als diese hier. Natürlich müsstest du deine Frau dann ertragen. diese "Ehemanneigenschaft" wäre natürlich hart. Und du wärst auch nicht frei (was ist schon wahre Freiheit und wer will/kann sie wirklich ausleben?!), würdest weniger Geld verdienen, deutlich weniger, würdest weniger arbeiten und mehr Zeit mit ihren Freunden (ööööööhhh!!!) und ihrer Familie (weiche von mir Teufel, weiche von mir!!!) verbringen müssen, mehr Zeit mit ihr (obwohl das so schlecht gar nicht war, zumindest nicht immer).

Aber all das würdest du für ein bisschen mehr Zeit mit deiner Tochter natürlich willentlich in Kauf nehmen. Klar doch! Mach ich! Verlass dich drauf! Dann würdest du auch ihre Katze kennen, ihren Tiger und ihr würdet - so gut und so lange das eben geht - glückliche Familie spielen ...

(von den Betrüggereien, dem Fremdgehen, den Dating-Apps, dem pining after long lost Spanish lovers, den Füßen, die trotz ihrer Größe von 1,40 nachts, wenn du von  der Arbeit nach Hause kommst, unter der Decke hervorragen, von der Langeweile, all der Langeweile, der Depression, der Familie, den Freunden, der Familie, der Familie, der Familie wollen wir jetzt nicht mal reden ...)

Lassen wir das!

Hey, sie hat geschrieben! 

Und guck mal, sie ist auch  needy, denn sie hat auch gleich drei Nachrichten geschickt. (Das ist keine neediness, sie ist im Gegensatz zu dir jung und die machen das so, die jungen Leute ...)






Am Ende macht sie es (hoffentlich), aber diese Leere bleibt. Diese Leere, die dich wissen lässt, dass da was fehlt, dass es hier vielleicht gar nicht um die Geburtsurkunde geht, sondern um etwas ganz anderes. Ganz sicher. Obwohl: Es geht auch um die Urkunde, die brauchst du ja schließlich für die Arbeit. Und die Arbeit ist alles, was dir geblieben ist. Was willst du von ihr? Du musst loslassen ... sie kann dir das nicht geben, was du willst. 

Mein Gott! Komm mal in die Gegenwart, werd mal erwachsen. Sie ist schließlich keine fünf mehr. Sie ist jung, sie braucht keinen 24-Stunden-Papa mehr ...

Genau das würde dein Vater jetzt sagen. Und er würde natürlich (auch) Recht haben ...

Und wo hat ihn seine Rechthaberei hingebracht?!

Und wo hat sie dich hingebracht?




Am nächsten Tag liest du Lucía Etxebarria. Im Bus zur Arbeit. Das ist kein gutes Zeichen. Das ist nie ein gutes Zeichen. Auf Twitter hast du sie einmal als Autorin deiner Dreißiger bezeichnet. Irvine Welsh war der Autor deine Zwanziger und Knausgard der Autor deiner Vierziger. sie hat sogar geantwortet. Lucía Etxebarria. Mit einem kurzen Gracias. Damals, als du mit deiner Frau, deiner Ex, deiner damaligen Frau in Aberdeen warst, da war deine Tochter noch richtig jung, und ihr habt sie gesehen, Lucía Etxebarria, abends auf dem Weg zur oder von der Telefonzelle. Nach Hause telefonieren. die war damals als Writer of Residence da. Und du kanntest die gar nicht. Und hast dich noch weniger für sie interessiert. Alles Gute in deinem Leben hast du erst Jahre nach seinem Herauskommen, seiner größten Bedeutung mitbekommen. Lucía Etxebarria, nirvana, die Toten Hosen, sogar Rammstein ... Auf jeden Fall war die mit einer spanischen Freundin unterwegs und, als sie deine Tochter sah, sagte sie etwas wie: ¡Qué niña más bonita! Nein, die sagte nicht bonita, die sagte mona. Aber wahrscheinlich hätte sie eh nicht mit dir gesprochen, wenn du sie gekannt hättest, und angesprochen hättest.

Auf jeden Fall liest du sie jetzt wieder, jetzt im Bus. Das Buch mit dem Herzen auf dem Cover. Nosotras no somos como las demás. Wir sind nicht wie die anderen (Frauen). Früher warst du fasziniert, fast schon magisch angezogen von der Susi-Geschichte in dem Buch. Susi ist in ihren Bruder verliebt und als er Jahre später stirbt, hat sie selbst eine Nahtodeserfahrung, als sie beim Schwimmen in einen Sturm gerät und nur die Stimme ihres toten Bruders, die nada, nada sagt, sie rettet. Nada, nada, was auf Spanisch sowohl nichts, nichts, als auch schwimm, schwimm heißt. aber Susi interessiert dich heute nicht. Heute muss es Raquel sein. Du suchst hinten im buch nach der Kapitelliste mit ihrem Namen. Das erste Kapitel, in dem sie auftaucht, heißt Absenta. Wie passend! Damals, kurz nach deiner Scheidung war das dein Referenzbuch. Das REFERENZBUCH schlechthin. Und Raquel dein Alter Ego. Raquel, die nicht über die Trennung von ihrem verheirateten Liebhaber und großen Liebe Jaime hinwegkommt. Klar, warum du das damals so verschlungen hast, manche Sätze sogar auswendig wusstest. In dem Buch hast du so viel unterstrichen, dass, wenn das jemand sieht, der dich nicht kennt, dich bestimmt für einen Besessenen halten muss. Kleine und große Kreise, Ausrufezeichen, dicke Striche an der Seite. Und jetzt liest du das wieder, und denkst: Mal sehen, was du davon noch fühlst, noch so fühlst wie früher, direkt nach der Trennung/Scheidung. wie ein kleines Experiment. Das dir sagt, wie weit du gekommen bist. Wie weit du seitdem gekommen bist. aber schon allein die Tatsache, dass du das Buch wieder in die Hand genommen, spricht schon Bände darüber, dass das nicht nur ein unterhaltsames kleines Experiment ist, sondern ... ernst? Und da es vielleicht doch ernst sein könnte, dringst du auch direkt ins Zentrum des Buches, ins Zentrum von Raquels desamor (was für ein traurig-schönes Wort!) vor. Suchst bestimmte Stellen, die dir noch was geben. Und findest sie nach einigem Rumblättern. Im Buch ist Raquel ein erfolgreiches Model, das seinen Liebeskummer in Arbeit ertränkt. (Kennst du das vielleicht irgendwo her?). Aber nichts lässt sie Jaime vergessen. Und dann will er sich auch noch einmal mit ihr treffen. In einem russischen Restaurant, damit sie nicht gesehen werden. Und da gibt es diese Passage, die besonders stark von Markeirungen betroffen ist: Verschieden große Kreise, Striche am Rand, und alles ist unterstrichen, praktische anderthalb Seiten. Da findest du es, liest: Y aprendí que yo siempre seré la mala y la puta y la segunda de a bordo. Und ich lernte, dass ich immer die Böse, die Schlampe und das fünfte Rad am Wagen sein würde ...

Ja, das stimmt ...

Aber es geht noch weiter. Denn ab jetzt ist fast alles, was Raquel sagt, unterstrichen. Gute 5 Seiten lang. Oder noch mehr, ich werd die jetzt nicht zählen. Aber die wichtigste Stelle kommt davor. Du suchst danach nach ihr, findest sie aber nicht. Und dann findest du sie doch noch, davor: 

Quiero poder exigir compromisos. Que si se me deja, se pague por ello. 

 Ich will auch Zugeständnisse einfordern dürfen. Dass, wenn man mich verlässt, man dafür bezahlt ...

...to be continued (when I can muster up the strength ...)






Mittwoch, 19. April 2023

1000 Jahre Einsamkeit

 

Auf dem Laptop vor dem Bett läuft Rocco Schiavone. Staffel 2, Disc 2. Die letzte Folge der 2. Staffel. Rocco fasziniert ihn. Er hat ihn immer wieder gesehen. Er weiß nicht, warum. Es ist der Verlust, die Korruption, die Ehrlichkeit, keine Ahnung. Die letzte Folge ist düster ... wie letzte Folgen so oft sind. Missbrauch, Mord, Tod, Rocco bumst Catarina, sie verrät ihn, der Mörder von Adele bleibt am leben.


Gleich musst du noch James Bond auf das Handy ziehen. Live and let die. Der zweite James Bond. Du willst sie alle hören. Manchmal ist das Leben so schrecklich sinnlos. Heute zum Beispiel. Und dann sterben wir. Und bis wir sterben sind wir auch schon halb tot. Wir fressen, wir trinken, wir bumsen, wir wichsen, wir schlafen, wir laufen, in einer scheinbar unendlichen Abfolge, die, wenn wir sie sehen würden, so langweilig und schlimm wär, dass wir das gleich beenden würden, aber langsam lässt sie sich aushalten, gerade so, gerade genug, um durchzuhalten. Dein Finger ist aufgeknabbert, genau an der Stelle zwischen dem ersten und mittleren Glied, und blutet immer wieder, wenn du ihn knickst. Morgen stehst du um 4:45 auf, um zu laufen. Ein weiterer Tag. Ein weiterer Tag ohne Hoffnung. Mit Hoffnung. Hoffnung auf eine Zukunft, die nicht kommen wird, die viel zu schnell kommen wird, vorbei sein wird, vergangen sein wird ...


...was passiert, wenn wir sterben?

Und was wäre, wenn wir es wüssten. Würden wir dann beruhigt sein oder noch verzweifelter.


Diese lateinamerikanische Assistentin aus der Botschaft ist geil. Die würdest du auch bumsen. Die Dunkelheit ist so endlos, das draußen und hier drin. Carmen. Man macht sich Hoffnung und dann wird sie enttäuscht. Und selbst wenn wir James Bond wären, wäre unser Leben nicht besser.

"Ihre Augen sind ehrlich. Hasta luego signore."


OOO


Sie sitzt in ihrem Büro hinter dem Schreibtisch. Vor ihr sitzt er. Sie hat die Tür verschlossen. Nein, nicht verschlossen, nur zugemacht. Er redet mit ihr. Heute trägt er Bart. Seine Stimme ist ruhig, fast schon monoton. Aber gerade das ist es, was ihr an ihm gefällt. Wenn er sie jetzt berühren würde, wie durch Zufall, an der Hand. Er würde sie an die Hand nehmen, sie umdrehen und ihr von hinten an die Titten packen 


Und wie ist es so in Aosta, gibt's da eigentlich Frauen?

Hast du eigentlich Kinder?

Hast du eine fürs Bett?


   ihr Mann packt sie schon lange nicht mehr so an. Wann hat er sie das letzte Mal so angepackt? Sie weiß es nicht mehr. Sie sagt: "Nein, lass das ...", aber das ist viel zu leise, viel zu sanft, um ihn zum Aufhören zu bringen. Er berührt sie am Bauch, schiebt ihr Kleid nach oben, fährt ihr mit den Händen zwischen die Beine, drückt sie an sich. Nein. Hinten schiebt er ihr das Kleid hoch, zieht ihr den Slip runter. Nein. Sie steigt aus dem Slip raus. Er berührt ihre nackten Arschbacken, ihre Scheide, steckt seinen Finger langsam in ihre Scheide. Dann öffnet er seine Hose und holt seinen Penis raus. Sie beugt sich vor, spürt die Spitze seine Penis an ihrem Arsch, suchend. Er ist groß, sie spürt das. Und schon ist er zwischen ihren Beinen, dann in ihr drinnen. Sie stöhnt auf. Er nimmt sie langsam, aber hart. Schnell, aber kontrolliert. Genau richtig. Stößt ihn in ihr hoch. Wieder jung sein, so jung wie er. Richtig mit ihm rammeln können, den ganzen Tag und die ganze Nacht lang. Er fickt sie immer und immer wieder, ihr junges Ich, wie sie mit 25 war, als ihre Titten noch fest und ihre Haare noch blond waren. 


Es geht mir schlechter als vorher. Ich fühl mich noch viel einsamer.


Am Ende kommt er, zieht ihn raus. Sie rückt sich das Kleid wieder zurecht. während sie spürt, wie sein Sperma an ihr hinunterläuft, aus ihr heraus. Ciao, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Bis morgen.

Morgen wird er sie in den Arsch ficken, mit seinem, großen Prügel. Sie will das, er auch, er weiß es nur noch nicht. Sie wird ihn führen. Da rein. Mach es mir in den Arsch. Fick mich. drück ihn mir rein, bis es weh tut. Dieser schöne Schmerz, erregender Schmerz. Sie wird sich den Finger in die Scheide stecken, während er ihren Arsch bearbeitet und kommen, kommen, wie ein Tier, eine halbe Minute lange, immer wieder, während er immer noch in ihrem Arsch ist. Stößt und stößt, und sie das kaum mehr aushält.


OOO


Raquel ist abwesend, genau wie er. Absenta


OOO


Es ist gut zu wissen, dass mich Dinge noch überraschen können. Wie dieser französische Film auf filfriend.de am Sonntagabend, wo sich diese französische Schülerin aus Paris in einen Theaterschauspieler verliebt. Ja, das Leben kann schön sein. Manchmal. Denkst du, während du auf der Arbeit vor dem Laptop hängst und an deinen Achseln riechst. Heute geht es eigentlich. Nur ein bisschen Schweißgeruch. Ein leichter Schweißgeruch. Nicht so wie gestern, wo selbst das Deo nicht mehr geholfen hat. Aber das T-Shirt war auch alt, hätte schon lange in die Wäsche gemusst. Heute das auch. aber dieser leichte Schweißgeruch ist fast schon sexy... 

Frühling in Paris. So heißt der Film. Nein, nicht Sommer in Bonn. Aber er fühlt sich gut. Das Mädchen ist 16, er 34. Das Mädchen im Film, meine ich. 16 Jahre jung. Und er hat schon einen grauen Flecken am Kinn. Da fängt das immer an, am Kinn. Bei dir ist es schon fast weiß, so dass du aussiehst wie Django, wenn du dir einen Bart wachsen lässt, da man die hellen Haare am Kinn nicht so gut sieht. Sie küsst ihn auf die Wange, wie man das in Frankreich eben so macht. Sagt Salut. Es gibt so viel Schönheit in diesem Leben. So viel Schönheit und so viel Sex. Man muss sie nur sehen. Die unglaubliche Leichtigkeit des Seins ausschöpfen. Im Sommer in Bonn. Heute kommt Rolf und holt ihn ab. Morgen hat er Unterricht. aber nur Ferienunterricht. Mal sehen, ob überhaupt jemand kommt. Du wärst gekommen, damals, mit 16.  Leute in meinem Alter langweilen mich ... wieso sehen Sie mich so an ... ich sehe Sie nur an ... und ich verstehe ... diese Schauspielerin ist echt sexy, so auf ihre schüchterne Art. Die ist bestimmt keine 16. Nur im Film ... Er will sich mit ihr treffen, sie hat sich extra einen Minirock angezogen, weil ihr Vater ihr gesagt hat, dass er bei Frauen mehr auf Rocke als auf Hosen steht. Stimmt. die Temperatur ist nicht mehr ganz so heiß, die milde Luft kommt von draußen rein. Was tust du eigentlich, wenn du nicht arbeitest? Das würdest du wohl gerne wissen, sagt er. Flirtatious. Mein Gott, ey. Er kratzt sich unauffällig am Sack, riecht an seinen Achseln. riecht gut. so animalisch. Dieser ganze Parfüm-Scheiß, den braucht kein Mensch. Affen-Shave. Um zu riechen, als käme man aus dem Puff. Das ist mein After-Shave. Willst du mal riechen, Carmen. aber heute bist du nicht da. Heute fährt ihn Rolf nach Hause. Er mag Rolf. Und dann machen um 8 Uhr aufstehen und unterrichten. eigentlich hat er keinen Bock. Aber der Hunger treibt die Schüler runter. 

Das Leben ist gut. Wenn man es lässt. Er wünschte, seine Tochter wprde das auch öfters sehen. Vielleicht tut sie es ja. Bestimmt, in dem Alter. aber sie ist zwar ein Mädchen, aber 22 Jahre jünger als er. Klar, dass sie anders denkt. Hat er in ihrem Alter auch. aber sie ist Widder sie wird sich schon durchsetzen. durchboxen. Mit Hilfe ihre Hörner. Nicht wie du ein Wasserträger, der seine Bürde stur vor sich herträgt ...

Das Mädchen im Film tanzt auf der Straße, weil sie sich morgen mit ihm trifft ... Vor der Schule. Wahnsinn. Er hat auch Feuer gefangen, auf seine ruhigere, erwachsenere Art zwar, aber alte Scheunen brennen gut ...

Ich muss morgen früh raus.

Wieso musst du morgen früh raus?

Weil ich morgen frühstücken muss.

Er sagt "Sie", obwohl sie erst 16 ist.


OOO


Du betrachtest das Foto. Ihr Profilbild. Sie sieht gut aus, sie sieht dir so ähnlich. Sie ist deine Tochter. Das ist Wahnsinn. Chinga tu madre. Sie sieht so gut aus. Wie du. Große Augen. Die die Wahrheit sehen. Die Wahrheit über das Leben. Vielleicht. Hoffentlich nicht. Nicht allzu früh zumindest. Aber daran kannst du eh nichts ändern. Und manchmal ist es besser, die Wahrheit früh (genug) zu sehen. Vom Zaubertrank zu trinken. Vom bitteren Zaubertrank des Lebens. Dieses Lebens, das jede Sekunde endet. Große Augen. Ganz die Oma. Ganz der Vater. Lange, schöne Haare, eine Mischung zwischen dem Schwarz ihrer Mutter und dem helleren Brauns ihres Vaters. Von dir. Deine Tochter. Jung und schön. du bist stolz auf sie, kannst es ihr aber nicht sagen. Hast es ihr schon so oft gesagt, aber die Message kommt nicht an. Der Groschen fällt weder bei dir noch bei ihr. so ist das zwischen Eltern und Kindern. wenn der Groschen endlich fällt, ist es zu spät. Wenn er überhaupt irgendwann fällt. Aber vielleicht ist er ja bereits gefallen und du - genau wie sie - hast es nur noch nicht gemerkt. Weil wir mit Scheuklappen durch dieses Leben laufen, bis es zu spät ist. So wie bei deinem Vater. Da war es plötzlich zu spät, ganz plötzlich. Familien sind schon Scheiße. Man kann nicht ohne sie, aber auch nicht mit ihnen. Man kann nicht mit ihnen, aber auch nicht ohne sie. Mann kann nicht ...


Die gehen mir so auf den Sack. So auf den Sack gehen die mir. Es ist kalt, aber heute tut das gut. Nachdem er schon 12 km. hinter such hat uns und um 04:45 aufgestanden ist, um den Autoabgasen auf seiner Stammstrecke wenigstens halbwegs aus dem Weg zu gehen. 12 km. Das ist doch schon mal was! So kann der Tag beginnen. Die 300 km Marke reißt er diesen Monat locker und der nächste hat 31 Tage, einen Tag mehr. Die knackig-kalte Luft tut ihm sogar ein bisschen gut, denkt er, als er auf die Bahn nach Rheinbach wartet. Rheinbeach, haha. Und Mecktown.

 

Information zu S23 nach Euskirchen, heute circa 10 Minuten später. Grund dafür ist eine Verspätung aus vorheriger Fahrt.

 

Selbst das lässt ihn kalt. Dann gehe ich eben noch einen Kilometer vis zum Ende des Gleises und zurück. Frisch geduscht und fit. Zwar über 90 kg, aber daslag an den Nudeln mit Fisch, denen er gestern Abend einfach nicht widerstehen konnte.

 

Ich bin einfach nicht in der Lage, ihnen aus dem Wege zu gehen ... Oh Mama, was ist mit mir los ...

 

Hahaha. Er lacht innerlich. Man darf nicht zu streng zu sich selbst sein. Er wird die 85 schon knacken, keine Sorgen.

 

Ooh-oo child, things are gonna get easier / Ooh-oo child, things'll get brighter ...

 

Seine Tochter hat sich auch schon gemeldet. Ja nächste Woche ist gut.

 

Mit einem dieser wohlig grinsenden Simleys am Ende. Ja, nächste Woche trifft er sich mit ihr. Die Krümel, die das Leben dir gibt,  aufsammeln und vielleicht sogar zu etwas Größerem zusammenfügen. Aber nur vielleicht, haha ...

 

Das ist das Motto. Das ist DAS Motto. Haha. Klar, wie konnte ich es vorher nicht sehen. Klar, haha ...

 

 

Die Schönheit nehmen, wo sie sich bietet. Von vorne, von hinten und in den Mund. Die Welt in den Arsch ficken. Oder es zumindest probieren. Nadine wollte das nie, haha.

 

Aber jetzt muss er erstmal die Adidas-App ausmachen, sonst läuft die weiter, während er im Zug sitzt.

 

                                                                        ooo

 

Auf dem Weg von der Sparkasse zur Lotto-Annahmestelle sehe ich die Peruaner sehe ich die alte Peruanerin. Sie murmelt irgendwas, von wegen Ecuador … gib deiner Tochter was ich dir gegeben habe.

Ah, sage ich.

Ich sehe sie ja noch nicht mal. No la veo.

La próxima, sagt sie. Beim nächsten Mal.



Sonntag, 21. August 2022

Balatonfüred



Du sitzt todmüde auf der Arbeit, vor deinem Laptop. Es ist noch kein Kunde da. Zum Glück. Und plötzlich denkst du an Ungarn. An Anikó. Damals. Wie lange ist das jetzt her? Zu lange. Wie unschuldig du damals warst, wie jung. Wie jung du damals warst, wie unschuldig. Du googelst Havanna Utca. Ds war die Straße, in der sie wohnte. Damals, welches Jahr das auch immer war. Du denkst zurück. 1990 warst du mit deinen Eltern definitiv noch in Jugoslawien. Da war noch kein Krieg. Und Deutschland wurde Weltmeister. Das habt ihr damals in Jugoslawien geguckt. Als es das noch gab. Da, wo die immer Werbung während des Spiels eingeblendet haben, was es in Deutschland nie gegeben hätte. Danach war Krieg in Jugoslawien und ihr konntet nicht mehr da hinfahren. Das muss 91 gewesen sein. Oder 92. Ich weiß es nicht mehr. Das ist mittlerweile so lange her. So viele Jahre. All die Jahre, all die Beziehungen, all die Momente, all die Zeit, deine Tochter, deine Frau, deine Ex-Frau. Das war alles noch davor. So lange her. Deine Eltern fuhren mit dir nach Ungarn. Weil sie nicht mehr nach Jugoslawien konnten. Das war das Jahr, wo das Dream-Team zum ersten Mal gespielt hat. Ja, genau, das war’s. Jetzt weißt du’s. Und das kann man nachgucken. 1992! Das grße Dream-Team. Mit Michael Jordan, Magic Johnson, Larry Bird … Wahnsinn …

1992. Da trafst du sie. Im Urlaub. Im Urlaub am Balaton. Am Bodensee. Es war Sommer und dein Vater kriegte sich nicht mehr ein, weil eine junge Frau da mit Tange auf dem Fahrrad fuhr. Sagte so was wie: „Der kann man ja bis zum Essen hochgucken." Oder war das deine Mutter. Verächtlich. Gleichzeitig hörte er diese wunderschönen, wunderschön-melancholischen Lieder. Ich glaube, das waren die Bee Gees, aber ich weiß es nicht mehr.

Auf jeden Fall lernte ich am Strand am Balaton, am Bodensee Anikó kennen. Die kein Deutsch und auch kein Englisch konnte. Und ich natürlich auch kein Ungarisch. Wir verständigte uns wortwörtlich mit Händen und Füßen. Und plötzlich saß ich nicht mehr bei meinen Eltern auf der Matte, sondern neben ihr. Die hatte Glocken, war einen dunkle Schönheit. Dunkelbraun. Auf diesem einzigen Foto, das was weiß ich wo verschwunden ist. Alles ist verschwunden. So viel ist weg. Sie in diesem schwarzen Bikini, mit 15 Jahren. 15 Jahre, Wahnsinn! Wie jung wir damals waren. Sie war glaub ich genauso alt wie ich. 15 Jahre. Und mein Vater (Gott hab ihn selig!) machte, immer wenn er das Foto sah, einen Kommentar, dass DA EIN GANZES Heer durchpasste, zwischen den Abstand unserer beiden Matten am Strand des Balaton. Das hat mich immer ein bisschen geärgert, aber macht e mich gleichzeitig auch stolz. Denn ich saß neben ihr, neben Anikó, die in diesem schwarzen Bikini echt toll aussah. Typische Beuteschema. Ich weiß. Braun, nicht zu groß und südländisch.

Havanna Utca. Bocks, nur Blocks. Wie in der DDR. Plattenbauten, imma wigga. Da wohnte die? Ich war nie bei ihr zu Hause. Ihre Freundin war blond und konnte ein bisschen Englisch. Über sie haben wir uns rudimentär verständigt. Die Sonne schien auf uns herab, es war heiß, wir waren heiß. Ich schrieb ihr einen Brief. Sie schrieb sogar zurück. 15 Jahre Schrieb, dass sie nie gedacht hätte, dass ich all diese Gefühle hatte.

Dieser Laubengang am Ufer. Da trafen wir uns nachmittags. Alleine. Gingen spazieren. Ich gab ihr meine Hand. Gab ich ihr meine Hand? Oder war das irgendjemand anderes? Später. Ich weiß das noch genau. Wir setzten uns auf eine dieser Bänke am Ufer, durch die Bäume vom Rest der Welt abgeschirmt. Nebeneinander. Und ich küsste sie. Auf den Mund. Zuerst auf den Flaum auf ihrer Wange und dann auf den Mund. Oder war das Inga, die ich zuerst auf den Flaum geküsst hatte? Das war eine schlabbrige Angelegenheit. Und sie erwiderte den Kuss auch nicht so richtig. Vielleicht hatte sie nicht damit gerechnet. Mein erster Kuss. Vielleicht wusste sie ja auch nicht, wie sie reagieren sollte. Vielleicht war es ja auch ihr erster Kuss. Auf jeden Fall funktionierte das nicht so richtig. Aber wo hätte das auch hinführen sollen? Das war glaub ich ihr letzter Tag am Bodensee. Und das machte mir überhaupt keine Sorgen. Ich dachte an nichts. Nicht viel machte mir Sorgen. Ich lebte sowieso wie hinter einem Schleier, damals. Wie jung wir waren. Ach, Anikó, was wohl aus dir geworden ist? Ob du immer noch in Budapest lebst. Wie du wohl jetzt lebst.

Es war ein komisches Gefühl, dieser erste Kuss. So als hätte ich mehr machen können. Aber was schon? Sie da verführen, in dem Laubengang am Ufer des Balatons?

 

 

Eigentlich könnte ich ja jetzt aufhören, ich könnte es ja jetzt lassen, weil solche Momente, Momente solcher Unschuld wie unser Kuss, kommen nie wieder … und selbst wenn ich sie finde, wir sind nicht mehr die Gleichen, wir werden nie wieder zurückkehren können, die Vergangenheit ist ein schwarzer Spiegel.

Sonntag, 10. Oktober 2021

Tochter


"There are many things I would like
to say to you, but I don't know how..."

Oasis - Wonderwall


“There is only one thing children find harder to hold back than tears, and that is joy.”

Karl Ove Knausgard - A Time for Everything


"He felt a sense of loss, as though she had become a person he would no longer recognise ..."

Chimamanda Ngozi Adichie - Americanah





Deine Tochter hatte mit allem Recht, denkst du, als du am Sonntag Richtung Villiprott läufst und Tony Robbins hörst. Mit dem Tee, den Beeren, dem roten Fleisch, den Cheat Days und Nights, haha...den Purge Nights, in denen alles erlaubt ist...auch Bohnen, Knoblauch und Dosenfisch auf Ciabatta-Brot nachts um halb drei...

Also, warum kannst du dich dann nicht mit ihr versöhnen, deinen Frieden mit ihr machen? Vielleicht genau deswegen, weil es einen Zacken aus deiner Krone brechen würde. Weil du deine Prinzipien hast. Oder weil du jetzt deine Prinzipien hast.

Natürlich könnte ich sie kontaktieren. Habe sie ja immer noch in meinen WhatsApp-Kontakten. Aber ich tue es nicht. Aus einer Mischung aus Trotz und Angst, Angst und Trotz ...

Mit allem hatte sie Recht, außer mit den Sachen, die sie nicht wissen konnte, nicht wissen sollte. Obwohl, laut Tony Robbins gibt es diese Sachen gar nicht. Oder besser gesagt ...


Und nun habe ich es doch getan: Ich habe geschrieben.

Hi, ich hoffe, es geht dir gut...




Sie hat das Buch dabei ...


OOO

Ich verstehe sie ja. Ich weiß ja, wie sie sich fühlt. Ich weiß, dass die Leute Arschlöcher sind. Meint sie, zu mir wären die nicht so gewesen, dass ich nicht in Deutschland aufgewachsen wäre. Ich weiß auch, dass dieses Leben ein Arschloch ist, dass dich langsam fickt, jeden Tag ein bisschen mehr. Aber was willst du machen?! Da mähste nix. Sie ist genau wie du. Du warst auch anständig, ruhig, hast nur geguckt, mit deinen großen Augen. Und nichts gemacht, weil du dachtest, dass man das nicht macht. Ich glaube, keiner versteht sie so wie du. Genau wie sie warst du. Ruhig, hast alles in dich reingefressen, was dir diese Welt vor die Füße geworfen hat, wie Dreck.du kannst – genau wie sie – bis heute nicht verstehen, wie manche Menschen so sein können, so frech, so respektlos, so unanständig, so arschlöchrig. Richtige Wichser. Richtige Wichser eben. Aber so ist diese Welt eben. Es gibt keine zweite. Wir haben keinen zweiten Planeten. Du hast dich auch dein ganzes Leben mit Arschlöchern rumgeschlagen. Präpotente Arschlöcher, die dachten, dass die Welt ihnen gehört. Aber egal, was willst machen. Jeder geht halt mit dieser Situation anders um.

Und sie wird das auch einsehen, wird das auch schaffen, insoweit man das schaffen kann, insoweit man dieses Leben überhaupt bewältigen kann. Sie ist jetzt schon weiter als du damals, Viel weiter. Du warst so richtig caído del nido, in ihrem Alter. Du kannst stolz auf sie sein. Bist du auch. Bin ich auch! Und wie ...

wie du ...


Sie hat so viel schon erreicht: ihre Ausbildung geschafft, Abitur gemacht, einen Halbmarathon absolviert, sie war ein Jahr alleine in Australien ...

Wahnsinn!

Und selbst wenn sie dies alles nicht gemacht hätte, wäre sie immer deine Tochter, deine einzige Tochter. Blut ist eben dicker als Wasser ..

Sie wird auch lernen, den Arschlöchern Feuer zu geben, wenn sie zu arschlöchrig werden. so wie du das gelernt hast. Das man selbst ein Arschloch sein muss in dieser Welt. Manchmal. Das ist halt ein Prozess. Aber sie ist weiter als du, also wird sie ihn schneller durchlaufen ...

Sie ist jünger, fitter und sieht besser aus als du. Das ist wie in dieser spanischen Serie, die du guckst. Wo der Vater zu dem Sohn sagt, dass er ihn beneidet, dass er neidisch auf ihn ist. Weil er mehr .Möglichkeiten hat und jünger ist.


OOO


Irgendwo da draußen läuft meine Tochter, denke ich als ich mit der U-Bahn durch Bonn fahre. Lebt ihr Leben, ihren Alltag, parallel zu meinem, ohne dass sich unsere Leben jemals überschneiden würden, ohne dass sie sich kreuzen, außer in diesen mageren, kurzen WhatsApp-Nachrichten, die die einzigen Fäden sind, oder zu sein scheinen, die mich noch mit ihr verbinden.

Ist das eigentlich immer so, zwischen Vätern und Töchtern? Ist das innige Verhältnis, was man so oft im Fernsehen sieht, nur eine Verfälschung der Realität, die die männlichen Zuschauer darüber hinwegtäuschen soll, dass die Realität mehr so ist, wie das hier.

Wie es auch bei dir war. Aber du bist wenigstens bei deinen Eltern vorbeigegangen ...
... jedes halbe Jahr, wenn es hoch kam, und immer mit einem mehr oder weniger mulmigen, sogar wütenden Gefühl in der Magengrube.

Wahrscheinlich denkt sie genau wie du damals ... und genau deswegen versteht ihr auch nicht so gut, wie sie sich mit ihrer Mutter versteht. Aber vielleicht versteht sie sich ja im Alltag auch gar nicht so gut mit ihrer Mutter, wie du denkst. Ist auch oft von ihr genervt, schimpft mit ihr ...


Genau wie du, kann sie, will sie nicht verzeihen ...
 
Fortsetzug folgt...









Mittwoch, 17. Februar 2021

Eis am Stiel

 

for me dad

and for me, of course

R.I.P.

For the heart, life is simple: it beats for as long as it can. 

Then it stops.

Knausgard



Eis am Stiel 

 

Im Fernsehen läuft Eis am Stiel 2. Das heißt, eigentlich auf dem Laptop auf der Arbeit, aber das hält ihn ja nicht davon ab, das zu gucken. Ich wollte auch so sein, denkt er...die erste Liebe...der Dicke, der immer Prügel kriegt...der romantische Dünne, wie der wollte ich sein...mich verlieben, in eine schöne Frau, etwas erleben...wie diese Tammy, eine vernünftige, schöne Frau...das ist so lange her; als der Film rauskam, war ich gerade geboren...das ist ein Kultfilm, ein Kultfilm in der Tat...dieser Benny...auf Partys gehen...die einzige Party, auf die mich mein Vater gefahren hatte, mein Vater, der jetzt tot ist, tot...den Blues tanzen, ganz eng, die wollten alle damals den Blues tanzen...Freunde haben...ein schüchternes Mädchen...meine Eltern hatten das alles auf Video...wo bin ich gelandet, mit all diesen Träumen von damals...das mit dem Hausflur hatte ich später auch, aber nur mit einer Frau, in der Altstadt...Steiner - Das Eiserne Kreuz hatte mein Vater auch...hatte sein Leben einen Sinn und Zweck? Hat er was davon gehabt? Hat irgendein Leben einen Sinn und Zweck - außer natürlich sich fortzupflanzen, diesen sinnlosen Tanz fortzusetzen, die Art zu erhalten...Bowle trinken, wie auf dieser Kirchenfahrt...mit dieser Frau; die war ein paar Jahre älter als ich und hatte einen Freund...einen gut aussehenden, jungen, sportlichen. Aber ich war damals auch dünn, vielleicht nicht sportlicher, aber dafür jünger. Vielleicht auch besser aussehend, wer weiß das schon? Welche Zeiten waren das in Eis am Stiel? Unbeschwerte Zeiten...all das Leben...jeder hat das irgendwann, und es geht verloren...at one time, you've got it, then you lose it, and then it's gone forever...never to return...like your dad...wo er jetzt wohl ist? Es ist egal, was wir tun, wirklich egal, es macht wirklich keinen Unterschied, one way or the other...denen passieren all diese Abenteuer, aber es passiert ihnen nichts, es passiert nichts...nichts außer ein bisschen Herzschmerz...das spielt in den Fünzigern, jetzt sehe ich es, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg in Israel...wie die sich küssen, so unschuldig...junge Liebe, unschuldig, unschuldig und rein, ja, vielleicht nicht rein, aber unschuldig...ernst, ohne Spielchen, das erste Mal... Nicht wie später...wie die Karnickel...lo hacíamos cada rato, como los conejos...der Sex wird weniger ernst und irgendwann wird er vom Leben abgelöst, in seiner Ernsthaftigkeit überholt...diese einsetzende Melancholie, die mit dem Sex kommt, der pequeño mort, der kleine Tod des Orgasmus...tell Laura I love her...tell **** I loved her, and ******* too, and *****, and...my love for her will never die...and ****** of course too...dieser Rock 'n' Roll, sie liebte das, wenn es lief, ging voll darin auf...vergaß alles, sogar mich, haha...und dann der Selbstmordversuch...ach ne, die begeht gar keinen Selbstmord, das war ein anderer Film...und am Ende kommen sie zusammen und der Abspann läuft...Tammy und Benny...und noch eine Folge Eis am Stiel, dabei bin ich schon fast überdrüssig...schon fast gesättigt...hat eh alles keinen Sinn. Trotzdem gucke ich weiter, bis zum bitteren Ende...wieder fahren sie Boot, diesmal mit einer anderen, die frecher ist als die erste...aber auch nicht bumsen will...Benny hat aber auch Pech...die Szene mit dem Penis im Popcorn...



Im Traum liegt mein Vater da und ich will heulen, sage, glaube ich, "Atme, atme", will ihm helfen, er ist doch noch so jung, hat doch nichts von seiner sauer verdienten Rente gehabt. Ich sehe sein Gesicht vor mir, das meinem eigenen so ähnlich sieht, immer ähnlicher wird         und kann nix machen. Nix. Nada. Nada. Ein Satz mit x. Das sagte er immer. Ich will, dass er atmet. Das gönne ich keinem...atme, du Arschloch   aber er liegt einfach nur da...

wie er da liegt. Wie im Krankenhaus     du konntest ihn nicht anfassen, nicht berühren  hast es nicht fertiggebracht  konntest oder wolltest nicht ...



 

Was hat er damals gedacht? Als er all diese traurigen Lieder gehört hat, immer und immer wieder. Verstanden hat er sie nicht. Zumindest nicht so wie ich. Hat er an eine andere gedacht, während er mit meiner Mutter unterwegs war, im Urlaub war? War er wirklich mit dieser Gaby zusammen, die meine Mutter ihm ständig vorhielt? Sehnte er sich nach ihr, während er mit uns durch Ungarn, durch Jugoslawien fuhr? Spürte er die Vergänglichkeit? Wie konnte er sie nicht spüren, bei diesen Liedern?! Spürte er den Sinn dieser Balladen, obwohl  er sie nicht verstand? Spürte er, wie das Leben durch seine Finger rann? Vielleicht mehr sogar als wenn er den so wie ich Text verstanden hätte? Wusste er, dass er sterben würde, dass er irgendwann sterben würde, einfach so umkippen würde, in der gleichen Straße, in der er so viel gearbeitet hatte, in der er so oft gewesen war, zu der er mich manchmal mitgenommen hatte. Zu Schmitz, dem Taxiunternehmer. Mit den zwei  rothaarigen Töchtern. Den Füsschen, wie er immer sagte. Mit denen er mich verkuppeln wollte. Gefallen die dir nicht, die sind eine gute Partie. Spürte er, dass er dort dreißig Jahre später einfach so sang und klanglos umkippen würde, nach seinem Spaziergang mit dem Chihuahua, den ihm seine Tochter dagelassen hatte, als sie nach Amerika gegangen war. Für immer …

 

Ich habe ja gebetet und gebetet, sogar eine Kerze für ihn angezündet, in der Kirche in Meckenheim, aber es ging nicht. Er wollte nicht mehr zurückkommen. Ist nicht mehr zurückgekommen. Von da, wo er hingegangen war, wo auch immer das war. Das was hier lag, war nur noch sein Körper, seine Hülle, seine fleischliche Hülle, die er hinter sich gelassen hatte. Für immer.

Und ich stand da, und dachte was? Dass ich noch immer ein bisschen Schnupfen hatte und eigentlich nicht hier sein sollte. Dass ich ih nicht anfassen, nicht wie meine Mutter am Arm streicheln konnte.

"Pack ihn doch mal an, mach schon", 

...

"Du kannst ihn anfassen ..." 

Aber ich konnte nicht, konnte es nicht, war irgendeine Sperre, irgendeine Blockade, die mich davon abhielt. dieer oder ich selbst Jahre zuvor aufgebaut hatte. Zum Schutz, wie immer. Schutz vor Enttäuschung, Schmerz, Leiden, ungewollten Gefühlen. Was natürlich nur menschlich war, nur ein Teil des Lebens, unserer Existenz auf diesem kalten, harten Planeten. womit wir beide aber nicht umgehen konnten. Wahrscheinlich, weil wir beide es nie gelernt hatten, er nicht von seinem Vater und ich nicht von meinem. Meine Tochter nicht von mir. Und so setzt sich die Reihe fort, in dieser endlosen Abfolge unser endlichen Leben. Einem Zyklus ähnlich dem von Ray Dalio ...


...wird fortgesetzt, auch über den Tod hinaus...

 

 


 

Mittwoch, 18. März 2020

Traumdeutung - die Villa

 






Ich war schon mal in diesem Haus, in dieser alten Villa. Eigentlich ist die luxuriös eingerichtet, altmodisch luxuriös, mit diesen alten Möbeln, aber dann sehe ich, dass da überall ein Kuckuck drauf ist. Überall: auf Sofas, Lampen, Tischen...

...sie ist oben. Nadine. Sie ist wieder da, aber oben. Und ich bin in einer Art Schacht, eine Art heruntergekommene Treppe, die nach oben führt. Zu ihr. Denn da will ich hin. Aber da will ich hin. Aber als ich versuche, in dem Schacht nach oben klettere, lösen sich diese Steigeisen, die nach oben führen, aus dem Sand, in dem sie befestigt zu sein scheinen und ich halte sie in der Hand. So dass ich am Ende aufgeben muss...