Montag, 13. Juni 2016

Ihr Ex - Teil 2










Heute fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Das war bei allen ihren Partnern das Gleiche. Immer die gleiche Vorgehensweise. Der gleiche Modus Operandi sozusagen. Immer die gleiche Masche. Oder war es keine Masche? Bei ihm kam die zweite ihrer Schwestern aus Spanien wieder und schon war es aus. Sie sei nicht glücklich mit ihm, hatten sie ihr eingeredet. Und sie hatte sich das auch nur allzu bereitwillig einreden lassen. Immerhin war das ihre ältere Schwester und nicht irgendwer, der das sagte. Und bei ihrem angeblich ersten Freund in Deutschland, bei Olav hatte sie sich auch von ihm getrennt, er hat ein Riesentheater gemacht im Flur und ihre Schwester hat für sie die Drecksarbeit übernommen, ihn endgültig loszuwerden. Ihm zu drohen und ihn vor die Tür zu setzen. Und schon war er weg. Entsorgt. Wenn das überhaupt so stimmt. Vielleicht ließ er sich ja gar nicht so einfach entsorgen, machte in Wirklichkeit mehr Schwierigkeiten als sie mir weismachen wollte. Aber am Ende setzte Slainté sich durch. Mit ihrer unnachahmlich charmanten Art. Für irgendwas muss die Familie ja gut sein. Am Ende haben sie sich doch mit vereinten Kräften gegen ihn durchgesetzt. Es war ein langer Kampf. Länger als bei Miguel und bei Olav, aber am Ende war er doch von Erfolg gekrönt. Wenn man so drüber nachdenkt, dann könnte man glatt meinen, das hätte System. Ihre Schwester macht ihr alle Beziehungen kaputt. Oder sie lässt alle ihre Beziehungen mit Hilfe ihrer Schwester über die Klippe springen. Vielleicht ist ja ihre Schwester für sie so etwas, wie die Frau fürs Grobe. Aber er weiß nicht, wer bei denen das Heft in der Hand hat. Vielleicht ist sie ja genauso schlimm. Zwei Krähen…
Dabei war das Verhältnis zwischen den beiden bei weitem nicht immer so harmonisch. Ich weiß noch damals, als ich gerade mit ihr zusammengekommen bin (oder sollte ich besser sagen: zusammen gekommen?), hat sie sich dauernd über ihre Schwestern aufgeregt. Besonders über Mandy. Die ging ihr damals so richtig auf die Nerven.

„Immer muss ich alles für die machen. Die kann kein Deutsch, die kann keine Arbeit suchen nichts. Alles muss ich machen. Und dann ist sie noch herrisch wie sonst was. ¡Es una mandona!

Und selbst bei Miguel, ihrem Freund in Ecuador,  ist es trotz alledem wieder Slainté, die eine entscheidende Rolle spielt. Denn sie kommt als erste nach Deutschland, findet hier Arbeit und holt ihre Schwester. Fester Freund oder nicht. Wenn interessiert das schon. Er weiß von nichts, sie erzählt ihm, dass sie mit ihm auf eine Party gehen will, wo sie nie auftaucht und er fällt aus allen Wolken, als er feststellen muss, dass seine Freundin schon nicht mehr im Land ist. Dass sie vielleicht schon in Europa ist, in Deutschland, bei ihrer Schwester. Dass sie ihm vielleicht nur etwas vorgemacht hat. Die ganze Zeit über. Denn wenn sie ihn geliebt hätte, wäre dieses Gefühl doch sicherlich stärker gewesen als ihr Wunsch nach Freiheit, nach etwas Neuem, nach Geld, nach vermeintlich besseren Verhältnissen. Einem besseren Leben.

Immer wenn er mit ihr darüber geredet hat, hat sie das Thema runtergespielt, hat gesagt: Dem geht es doch wieder gut. Der hat jetzt zwei Töchter und eine andere Frau.“

„Hattest du nie Lust, den wiederzusehen?“

Darauf hat sie nie richtig geantwortet. Und er dachte, das sei so, weil sie immer noch Gefühle für ihn hatte. Damals hatte er sich gerade von Conchita getrennt und konnte das nachvollziehen. Oder sie glaubte, er sei noch immer zu wütend, hegte ihr immer noch einen Groll wegen damals. Weil sie ihn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einfach so sitzengelassen hatte. Ihn einfach so belogen hatte, was ihre europäischen Pläne anging. Oder einfach geschwiegen hatte. Einfach so nichts gesagt hatte. Damit er ihre Abreise nicht verhindern kann. Damit er nicht ungemütlich wird. Sich normal zu trennen wäre ja auch viel zu anstrengend gewesen. Emotional. Aber die feine englische Art ist das trotzdem nicht. Irgendwie kommt ihm das alles auf eine  schmerzhafte Art und Weise bekannt vor. Miguel war auch jünger als sie. Nicht unbedingt fünf Jahre, so wie zwischen ihm und Nadine, sondern glaub ich drei oder vier. Sie 19, er 16 oder vielleicht sogar erst 15. Robacunas nennt man so was auf Spanisch. „Wiegendiebin“. Oder „Wiegendieb“ in der männlichen Ausprägung. So bezeichnet man eine Frau oder einen Mann, der einen (viel) jüngeren oder gar einen viel zu jungen Partner hat. Und selbst ihr Neuer, wenn das ihr Neuer ist, der Sohn von ihrer Chefin, der natürlich Spanisch kann, aber natürlich nie mit ihr spricht, weil er sich nicht traut, obwohl er als Ingenieur viel Zeit in Mexiko verbringt und dort bestimmt Spanisch redet und nicht Englisch… Und ihr Neuer, ihr Neuer ist soweit ich weiß, auch erst 37. Jünger als er selbst. Na, wie fühlt man sich da, wenn man für einen Jüngeren verlassen wird. Obwohl du das ja nicht genau wissen kannst, weil wie bei Miguel ja gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn. Der beste Umgang mit dem Ex ist ihn komplett totzuschweigen. Aber er ist nicht tot. Zumindest noch nicht. Zwar auch nicht gerade alive and kicking, aber auch nicht tot. Vivo y coleando heißt das auf Spanisch. Das ist im Grunde genommen  die gleich Wendung. Nicht zu verwechseln mit vivo y culiando, was so viel heißt wie „lebend und fickend“. Con perdón. Entschuldigung. Aber das ist die Wahrheit. Die nackte Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr ihm der Teufel helfe. Das wäre ihr bestimmt lieber, wenn der ganze unnötige Ballast aus der Vergangenheit mit einem Mal umfallen würde. Und nicht wieder aufstehen würde. Robacunas. ¡Eres una robacunas!  Sie hat immer gelacht, wenn jemand, oder ich, das gesagt hat. Er auch. Er hat auch immer herzlich mitgelacht, immer in dem festen Glauben, dass ihm so was nie passieren könnte… Nein, du bist dagegen immun, dir passiert so was nicht. Weil du besser bist als all diese ersetzten, sitzengelassenen Exen. Klar!  Sieht man ja!

Wie sich Miguel wohl gefühlt hat, damals. Als er auf einmal – von ihrer Familie – vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Als er bei ihr Zuhause aufgetaucht ist, nach ihr gefragt hat, ihre Mutter, ihren Vater, ihre Schwester. Und sie ihm gesagt haben: Die ist zu ihrer Schwester geflogen. In Europa. Die ist jetzt in Deutschland. Oder haben sie ihm das vielleicht gar nicht so direkt gesagt?! Haben sie ihm vielleicht noch auf perverse Art und Weise Hoffnungen gemacht: „Die ist nur in Urlaub, die kommt bestimmt bald wieder. Die wollte nur mal ihre Schwester in Deutschland besuchen. Mal etwas Neues sehen. Wann hat man dazu schon die Gelegenheit, hier in Ecuador, hier auf dem Land. Du musst das verstehen.“

Und hat er sich vielleicht am Anfang sogar Hoffnungen gemacht, fest geglaubt, dass sie aus dem Urlaub in Europa zurückkommen wird. War er vielleicht sogar stolz auf seine ältere Freundin, die in Europa Urlaub macht. Die einfach so weggeht…

Hat er sich Monate, Jahre später, wo er längst wusste, dass das Ganze kein Urlaub mehr sein konnte, noch Hoffnungen gemacht, dass sie vielleicht irgendwann, vielleicht schon bald ihren Fehler einsehen würde, dass sie schon bald die Sehnsucht packen würde, die Sehnsucht nach ihm, nach Ecuador, nach einem Leben zu zweit. Einem ärmeren, aber vielleicht glücklicheren Leben zu zweit. Er KFZ-Mechaniker, vielleicht mit einer eigenen kleinen Werkstatt und sie Hausfrau und Gelegenheitsarbeiterin von Zuhause. Hat er noch Jahre danach, in den schier undendlichen Weiten der Anden einsam in die Ferne geblickt, immer in der Hoffnung, dass die Liebe doch noch siegt. Dabei war die Liebe längst  tot, wenn es sie überhaupt jemals gegeben hatte. Hat er heimlich geweint, in seiner Verzweiflung sogar manchmal an Selbstmord gedacht. Oder daran selbst wegzugehen. Aber wie sollte sie ihn denn dann finden, wenn sie wiederkäme… Und sie würde irgendwann wiederkommen. Das wusste er. Obwohl ihm seine Mutter und sein Vater in dieser Hinsicht keine Hoffnung machten. Wenn die einmal weg ist, einmal in Europa ist, dann kommt die nicht wieder. Such dir einfach eine Neue! Geh zur nächsten Dorffiesta und lach dir eine Neue an (sein Vater). Du kannst nicht ewig der Nadine nachtrauern (seine Mutter).  Aber er hoffte weiter, bis er schließlich auch eine Neue fand, die Schwester verfluchend, die nach Deutschland gegangen war. Diese Hexe, diese… Esa puta. Seguro se está vendiendo el culo en Alemania.
Und als er schließlich über sie hinweg war und seine neue Frau, die keine Ambitionen hegte ins Ausland zu gehen und gleichaltrig war, da hörte er auf dem Dorf (¡pueblo pequeño, infierno grande! – kleines Dorf, große Hölle!) Gerüchte, dass sie wiedergekommen war. Zuerst ihre Schwester, dann sie. Er hatte schon Lust, da hinzugehen und ihr die Meinung zu geigen. Ihr oder ihrer Schwester. Wem auch immer. Ihr zu sagen, was er von ihr hielt. Aber er musste auch Rücksicht auf seine Frau nehmen. Wenn sie davon erfahren würde…

…und das würde sie, in diesem Dorf, wie würde sie sich dann fühlen?! Wie  die zweite Geige, das dritte Rad am Wagen. Nein, er konnte ihr das nicht antun. Also hielt er die Klappe, saß lediglich abends, nach der Arbeit, noch ein bisschen nachdenklicher als sonst am kargen Küchentisch, während seine Frau ihm von der neuesten Folge der telenovela, von den Tritten des Babys in ihrem Bauch oder von den Fleisch- oder Milchpreisen erzählte. Nichts ahnend. Arglos, was sich in seinem Hirn so abspielte. Wie Nadine bei dir, als du an Conchita dachtest, damals, noch Jahre nach Schottland, immer irgendwie abwesend, immer irgendwie im Gedanken woanders, melancholisch

Während Nadine schon mit Olav beschäftigt. Oder sogar schon mit ihm. Jahre später kam sie mit diesem jungen Deutschen nach Ecuador. Das war auf dem Dorf das Gesprächsthema. Die hatten den gesehen, mit einem T-Shirt mit Haschichblatt drauf. Der sollte noch richtig jung sein, so um die 20 erst. Er wusste es nicht genau, wollte davon auch irgendwie nichts hören. Nur nichts wissen. Keine Details, bitte! Halt einfach die Klappe, ja?!

Der war jung, wie er. Und sah gut aus. Angeblich. Das hatten die Schneiderinnen seiner Mutter gesagt. Und die hatte es seinem Bruder erzählt. Und der ihm. Ein Deutscher. Was für ein Arschloch! Ein Nazi! Die war mit einem Nazi zusammen, schlief mit dem, hier in Ecuador! Vor der Hochzeit! Geschieht ihr recht!

Oh, Miguel, wenn wir uns damals begegnet wären, als ich in Ecuador war, oder noch besser heutzutage, wir hätten viel zu besprechen. Aber leider weiß ich deinen Nachnamen nicht und Miguel ist ein Allerweltsname. Wenn du da wärst, in ihrem Dorf, dann würdest du ihn bestimmt finden. Aber noch mal kriegen dich da keine zehn Pferde hin. Noch mal reist du ihrer Spur der Vernichtung nicht nach, dafür brauchst du diesmal auch keinen Vater, der dir davon dringend abrät. Du bist weiß Gott nicht mehr der kleine, naive, verschüchterte 19-jährige Junge, der du damals warst.

Wir hätten bestimmt viel zu besprechen…