Dienstag, 22. November 2016

Dartscheibe zu Weihnachten








Im Aldi sehe ich sie, bei den Weihnachtssachen. Bei den Weihnachtsgeschenken.

Und direkt wirft es mich zurück. Nach damals, wo ich die Dartscheibe, die sie mir zu irgendeiner Gelegenheit – ich glaube zu Weihnachten, war es unser letztes Weihnachten? – geschenkt hat und die ich aus Wut zerschmettert habe. Obwohl ich die Pfeile bis heute habe. bis heute aufbewahre wie einen Schatz. 

Wo ich die Dartscheibe im Keller gegen die Steinwand gehauen habe, bis sie ganz verbogen war. Bis sie kaputt war.



Früher als Kind hatte ich bei sowas immer Mitleid. Das hat mich immer traurig gemacht. Ich hatte immer Mitleid mit den Leuten, die sich Mühe gegeben haben, um die Sachen herzustellen, die andere einfach kaputtgemacht, einfach so weggeworfen haben. Ich hatte sogar Mitleid mit den Leuten, wenn jemand nur sagte, dass dies oder das Scheiße sei. Dann dachte ich immer an die armen Leute, die das hergestellt hatten und die bestimmt nicht wollten, dass man ihre Sachen als Scheiße bezeichnete. Einfach so

Das tat mir immer Leid.

Wir haben immer nur Mitleid mit uns selbst

Es ist wichtig, dass man sich selbst bemitleidet



Da sind sie, haben sie sie. Die Dartscheiben, die Nadine mir damals geschenkt hat. Die ich vor María gegen die Wand gehauen hab. Immer wieder, bis sie kaputt war. In blinder, ohnmächtiger, kalkulierter Wut. Genau wie die Weihnachtskugeln. Die Weihnachtsbaumkugeln. Die ich eine nach der anderen kaputtgehauen hab. Als ich ausgezogen bin. Im Keller. Vor María, für den Effekt

(ich hätte sie auch so kaputtgehauen oder einfach weggeschmissen)

Da sind die Dartscheiben aus Plastik. Die sie mir geschenkt hat, damals. Aus Liebe

Oder einfach so. Lieblos

Nur um etwas zu schenken

Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Und ich werde es nie erfahren. Vielleicht war es ja eine Mischung aus beidem. Lieblose Liebe. Liebevolle Lieblosigkeit.

War es Liebe

Oder nur irgendeinen Scheiß. Ein Geschenk, nur um ein Geschenk zu haben. Ein Pflichtgeschenk zu Weihnachten. Ich habe nie auf der Scheibe gespielt

Haben wir die ganze Zeit nur aneinander vorbei gelebt


Auf jeden Fall flasht mich das voll. Die Dartscheiben. Die ganzen Dartscheiben. Die darauf warten, gekauft zu werden, verschenkt zu werden       zu Weihnachten                 an zukünftige Ex-Ehemänner, die nicht auf ihnen spielen und sie dann irgendwann gegen die Kellerwand hauen, bis sie kaputt sind

(wer? Die Ehemänner oder die Scheiben?)

Kaum habe ich sie gesehen, fühle ich mich so

so

kaputt


kaputt



ich sage gar nichts mehr. Lege wie benommen die Sachen in den Einkaufswagen. Will eigentlich heulen, nur losheulen, mitten im Supermarkt, wenn die Tränen doch kommen würden                      wie diese spanische Ehefrau und Mutter in Amor, curiosidad, prozac y dudas (Liebe, Neugier, Prozac und Zweifel). Die einfach so in der Schlange im Supermarkt anfängt zu heulen

Weil sie eine depresión de caballo, eine „Depression wie ein Pferd“ hat


Ich bin wie vor den Kopf gestoßen


Draußen, an der Haltestelle hat jemand ein Bild von einer Katze aufgehängt. In Plastikfolie. VERMISST. Aber irgendjemand hat versucht, die Folie abzureißen, wegzureißen, so dass man die Katze kaum noch sieht, so dass die Folie unten ganz zerfleddert ist, die Telefonnummer kaum noch zu sehen ist

wenn jetzt jemand die Katze findet

VERMISST


VERMISST


Ich vermisse auch etwas, hänge mich aber nicht an der Haltestelle auf




im kalten Novemberregen


in the cold November rain…

…nothing lasts forever…

Eine goldbraun getigerte Katze. Mit Katzenaugen, die mich durch den Regen und die kaputte Plastikfolie angucken                    als könnte sie die Wahrheit sehen



ihr lilafarbenes Garfield-T-Shirt, das wir damals in Spanien gekauft haben




VERMISST




Die kommt bestimmt nicht mehr zurück




die Katze